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Moskau-Blog
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Rund zwölf Millionen Menschen leben nach offiziellen Zählungen in der russischen Hauptstadt. Andere Schätzungen berücksichtigen nicht offiziell registrierte Migranten und gehen sogar von bis zu 15 Millionen Menschen aus. Wie viele Millionen es am Ende auch sein mögen, Moskau ist seit jeher ein Schmelztiegel der Kulturen und Religionen. Russen leben hier Tür an Tür mit Weißrussen, Ukrainern, Georgiern, Kasachen, Tadschiken, Tschetschenen oder Burjaten. Hinzu kommen die vielen entsandten Firmenmitarbeiter aus aller Welt.
In der russischen Hauptstadt gibt es orthodoxe, katholische und evangelische Kirchen, Moscheen, Synagogen sowie hinduistische und buddhistische Tempel. Natürlich bringen die Menschen aus aller Welt neben ihrem Glauben auch ihre Werte, Musik oder ihr Essen mit. Entsprechend abwechslungsreich ist das Angebot an kulturellen Veranstaltungen und Restaurants. Moskau ist ein Ort der Geschichte. Museen und Baudenkmäler an jeder Ecke erzählen von Zaren, von der Oktoberrevolution, Lenin und Stalin, von der Perestrojka, Jelzin und Gorbatschow oder vom neuen, modernen Russland unter Wladimir Putin. Und schließlich ist Moskau berühmt für sein Nachtleben. Die Russen feiern gern, intensiv und lang. So manche Nacht in Restaurants, Clubs und Bars beginnt mit der Dämmerung und endet auch mit ihr. Im Moskau-Blog schreibe ich in unregelmäßigen Abständen meine Eindrücke von Moskau nieder. Scrollen Sie nach unten und lesen Sie die Beiträge. Ich wünsche viel Spaß dabei! Über Kommentare an die E-Mail christijahn@gmail.com freue ich mich. |
2008 |
Februar |
Januar |
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22.02. | Steif wie ein Minister-Schnitzel |
19.01. | Sterbender Jahn auf Eis |
14.02. | Besserwisser |
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12.02. | Ganz gewöhnlicher Doozer-Alarm |
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01.02. | Es ist ein Betriebswirt! |
2007 |
Dezember |
November |
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01. - 31.12. | Winterpause |
14.11. | Viva Selbstjustiz! Autogrammstunde mit ... |
Oktober |
September |
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19.10. | Okean Elsi ukrainische Helden der Russen |
29.09. | „Wir haben Fliegen“ |
18.10. | Putins TV-Chat Communication Breakdown |
19.09. | Turn it on, Baby! |
13.10. | Krowostok derber Rap im Klub Ikra |
01.09. | Lenin lebt! |
10. - 12.10. | Kaliningrad neues Leben in der Beton-Wüste |
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02.10. | Herbstspaziergang in Sergijew Posad |
August |
Juli |
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28.08. | Politkowskaja-Mord an der Nase herumgeführt |
22.07. | Vorsicht bissiger Künstler! Oleg Kulik im Moskauer ZDCh |
12.08. | Moskauer Sommerfrische |
18. - 21.07. | Auch Du musst nach Sotschi! |
18. - 21.07. | Acht Uhr morgens, Strand bei Adler |
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06.07. | Pina Bausch im Mossowjet-Theater |
Juni |
Mai |
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01. - 26.06. | Sommerpause |
19.05. | Endlich Sommer! |
09.05. | Den Pobedy Tag des Sieges |
April |
März |
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30.04. | Adlerauge, Herz aus Eis und Superhirn |
31.03. | Zdob si Zdub Publikumsbeschwörer mit ... |
19.04. | Russische Stars und Sternchen |
21.03. | Xing! Und wieder ein neuer Kontakt |
14. - 15.04. | Droht eine Militärdiktatur? Genau hinsehen! |
14.03. | Zwischenprüfung bestanden! |
05. - 09.04. | Kristos woskrese! Happy Ostern! |
06. - 07.03. | Scorpions Jugendhelden in Moskau |
07.04 | Wodka, Matrjoschkas, Korruption |
01.03. | Große Blog-Party |
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Focaccia-Brot und Sibirskaja korona-Bier stehen auf dem Tisch. Wo? Na klar, in einem Moskauer „Il Patio“-Restaurant (© Christian Jahn)
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Die russische Frau gehört an den Herd oder, in Moskau, wahlweise an die Bar eines Hotels zwischen zwei Ausländer oder zwei Oligarchen (Oh, böse, böse. Okay, ich sage es direkt vorweg: Liebe(r) Leser:in, Sie befinden sich in einem Blog. Political correctness ist nur in kleinen Prisen zu erwarten). Der russische Mann, der gehört ... ja, wohin eigentlich? In den Neunzigerjahren war das alles noch so klar wie Wodka: Mit dem Hals an die Flasche gehörte da der russische Mann. Ich glaube, damals konnte man das Gewinde des Flaschenhalses sogar an der Mundöffnung des russischen Mannes festschrauben; da gab es so eine russische Norm für Flaschenhälse, oder so.
Jetzt gibt es ein Generationen-Problem: Für die Männer ab 30 Jahre aufwärts gilt in der breiten Masse noch das Ideal des echten „Muschik“. Besondere Kennzeichen: Stier-Nacken, John-Wayne-Gang, alle drei Schritte Nase hochziehen und auf die Straße rotzen. Und immer schön fluchen, Luft holen, fluchen, Luft holen, fluchen ... Bildung und Manieren? Das ist was für Weicheier. Die nachrückenden Russen bis 30 Jahre orientieren sich an den universellen Moden. Sie kleiden sich modern, gehen ins Fitness-Studio, auf die Sonnenbank und manche sogar zur Mani- und Pediküre. Kurz und gut, da gibt es ein Problem zwischen den Generationen denn die Älteren nehmen die Jüngeren deshalb oft nicht ernst. Ähnlich wie die Männer in Westeuropa müssen sich ältere und jüngere Russen über kurz oder lang wohl einmal zusammen an einen Tisch setzen und sich neu definieren.
Lediglich eins schien lange Zeit sicher: Hinter dem Herd hat der russische Mann nichts zu suchen außer dem Deckel seiner Flasche vielleicht. Auf die Fernseh-Couch gehört er. Doch, oh Graus: Selbst von dort wollen russische Fernsehmacher ihn jetzt vergraulen. In eine Schürze wollen sie ihn einwickeln, Pfanne in die Hand und dann mit Kräutern der Provence, Likör und Puderzucker bewaffnet doch tatsächlich in die Küche schicken. Der Kochshow-Wahn greift langsam auf Russland über. Langsam wohl gemerkt, sehr langsam. Und er fristet bisher ein Nischendasein gerade einmal zwei Sender haben das Format aus dem Westen übernommen. Ähnlich wie bei „Das perfekte Dinner“ auf dem deutschen Sender Vox, bewirten sich bei „Swanny uschin“ frei übersetzt „Gastmahl“ fünf Russinnen und Russen gegenseitig.
Fußnote nebenbei: Den ersten Moderator hat der Sender mittlerweile ausgetauscht. In den ersten Folgen fand er nicht die richtige Balance zwischen Terminator und Alfred Biolek klare Schlagseite in Richtung Terminator. Der neue Moderator ist Profi der Umgang mit Gewürzen verursacht bei ihm scheinbar keine Identitätskrise oder gar Potenzprobleme. Ja, und dann sind da natürlich noch die Hauptpersonen der Sendung Mascha, Dascha, Wowa und Wasja und wie sie nicht alle heißen. Sie alle wollen kochen oder doch zumindest irgendwie ins Fernsehen bei manchen werde ich den Eindruck nicht los, dass der Brief mit der Bewerbung „Ich sehe gut aus und will deshalb ins Fernsehen“ schon abgeschickt war, als ihnen auffiel, dass sie nicht geschrieben hatten, in welche Sendung sie auf keinen Fall wollen; tja, und jetzt stehen sie in der Küche, müssen die eingebrockte Suppe auslöffeln und zusehen, dass sie nicht darin untergehen.
Es ist echt köstlich: Man wundert sich ein bisschen, wo die viel beschworene russische Gastlichkeit geblieben ist. Gastgeber:in und Gäste wirken sehr steif. Brav sitzen sie eine(r) neben den anderen gequetscht auf einer Seite des Tischs das mag ja Anweisung der Kamera-Leute sein, aber warum um Gottes Willen übernimmt man mit dem Konzept der Sendung nicht einfach auch ein paar Tipps von den westlichen Kollegen? Die bekommen es schließlich auch hin, Gäste und Gastgeber:in rund um den Tisch zu platzieren und dennoch alles zu filmen. Und da sind vermutlich auch nicht mehr Kameras im Einsatz. Auch die Gespräche sind meist zäher als ein Streifen Schweinebauch. Das wirkt alles wie vom Zettel abgelesen. Und dann das Essen: Da kredenzte doch neulich ein Gastgeber als Vorspeise überbackene Käsestullen, anschließend ein Hauptgericht aus Huhn, Garnelen, Schwein und Reis alles auf einem Teller!
Respekt dem, der bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gekotzt hatte (der Respekt gilt auch den TV-Zuschauern). Wenigstens beim Nachtisch hatte der Gastgeber Erbarmen, verzichtete auf eigene Kreativität und kaufte einfach Eis hohe Anerkennung für die kluge Entscheidung. Am nächsten Abend war dann die Elektronik-Markt-Kassiererin Gastgeberin. Sie konnte ansehnlicher kochen. Zudem versuchte sie ihre Gäste mit einem einfachen Marketing-Trick zu bluffen. Das Stück Fleisch unter dem zwei Finger dicken Creme-Fraiche-Mantel präsentierte sie als „Schnitzel po ministerski“ oder Minister-Schnitzel was die Liebe für Titel, Posten und Hierarchien angeht, nehmen es die Russen locker mit den Österreichern auf. „Ach so“, mag da so mancher Gast beeindruckt gedacht haben, „Minister-Schnitzel. Na das bekommt man nicht jeden Tag.“ Und schon kaute er wahrscheinlich schon viel zufriedener auf dem sehnigen Lappen herum. |
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Hey! Erleuchtung! Ich war ein Ossi, für ungefähr eine halbe Stunde. Es war beim Treffen mit einem sogenannten Kommunikations-Fachmann, der von seiner Agentur für drei Tage nach Moskau eingeflogen worden war. Doch was ich dort in einem Gespräch erlebte, war pure Non-Kommunikation. Ich: „Die Russen halten das für einen ganz cleveren Schachzug, den Schröder zum Berater von Gazprom gemacht zu haben. In Russland zählen nämlich starke Führer. Die Menschen hier blicken auf zu starken Führungsfiguren. Und jetzt hofft der Kreml, dass auch die Deutschen auf den Gazprom-Sprecher Schröder hören.“ Er: „Ja, klar. Die Russen sind jetzt wieder finanziell stark und dann glauben sie, sich einfach alles kaufen zu können. Ex-Kanzler oder zum Beispiel auch den Fußball-Verein Schalke 04.“
Ich: „Worauf ich eigentlich hinauswollte: Es gibt Unterschiede in der Wahrnehmung von politischen Führungspersonen in Deutschland und Russland. In Deutschland verlangen die Wähler, dass der Politiker sich mehr oder minder an die Spielregeln hält im Zweifelsfall wählen sie ihn das nächste Mal nicht mehr. In Russland erwarten die Wähler vor allem, dass ein Politiker eine starke Führungsperson ist. Es wird im Zweifelsfall begrüßt, dass er sich über den Willen der Mehrheit hinwegsetzt, seinen eigenen Willen durchsetzt. Er wird dann nicht vom Wähler bestraft für sein eigenmächtiges Handeln.“ Er: „Ja, klar. Und die Russen glauben jetzt einfach, dass sie in Deutschland Sympathien kaufen können. Das klappt aber nicht. Sie können nicht mit der Scheckkarte Wohlwollen und Vertrauen einkaufen.“ Ich: „Sicher, das ist vielleicht auch ein Aspekt, warum das Schröder-Engagement in Deutschland nicht so gut ankommt. Ich denke aber, der Hauptgrund für die Missverständnisse zwischen Russland und Deutschland in der Kommunikation liegt in der Mentalität: Die Russen sind stolz darauf, dass Schröder jetzt Berater von Gazprom ist. Nicht, weil sie ihn gekauft haben, weil sie sich einen internationlen Spitzenpolitiker leisten können. Nein, sondern weil sie auch in Schröder einen starken und weltweit anerkannten Führer sehen. Dass die Deutschen in Schröders neuem Engagement einen eigennützigen Missbrauch seiner Kontakte sehen, können sie deshalb nicht verstehen.“ Er: „Ja, klar. Jetzt werden die Russen reicher und selbstbewusster. Aber wenn wir hier mit unserer Agentur ein Stück vom Kuchen abbekommen können, habe ich nichts dagegen.“ Das Gespräch zog sich ungefähr über eine halbe Stunde hin. Und am Ende war ich vollkommen sicher: Mein Gesprächspartner hatte nicht einen Augenblick verstanden, was ich ihm nahebringen wollte.
Zum Teil liegt das sicher daran, dass ein Ausländer erst einmal zwei, drei Jahre hier gelebt haben muss, um wirklich etwas mitzubekommen: Im ersten Jahr lernt er die Sprache er lernt, dass er „Pizza“ sagen muss und dann im Restaurant eine Pizza bekommt. Im zweiten Jahr beginnt er zu verstehen: Wenn er es für normal hält, jeden zweiten Abend in der Pizzeria zu essen, dann wird er die russische Durchschnitts-Familie dort nur an einem besonderen Feiertag finden. Und im dritten Jahr wird es noch komplizierter dann lernt der Ausländer echte, nicht so einfach erklärbare Mentalitätsunterschiede kennen: Zum Beispiel können die Russen auf der Straße unglaublich grob miteinander umgehen. Wenn aber jemand auf der Arbeit, im Restaurant oder sonst wo etwa das Wort „Scheiße“ gebraucht sicher gehört es auch nicht zu den schönsten deutschen Wörtern, wird heute aber als harmlos wahrgenommen , dann werden erwachsene Russen schon mal krebsrot und schütteln beschämt den Kopf.
Der andere Grund, warum das Gespräch mit dem Kommunikations-Fachmann kein Gespräch war: Der Mann kann nicht zuhören. Und dabei steht in jedem drittklassigen Buch über Kommunikation, dass es die erste Tugend eines Beraters ist, erst einmal zuzuhören, was der Kunde will. Wer nicht zuhören kann, der weiß nicht, was der Kunde will und kann entsprechend auch keine gute Arbeit ablegen. Zum Glück haben der Kommunikations-Fachmann und seine Agentur sich für den Markt Russland eine russische Partner-Agentur gewählt. Mein ganz ehrlich gemeinter Glückwunsch! Denn sonst wäre ihre Mission hier hoffnungslos zum Scheitern verurteilt. Nicht nur, dass der Mann nicht zuhören kann und entsprechend die Kundenwünsche nicht erfährt, seine potenziellen Kunden in Russland, die Russen also, sind in einer Beziehung sehr eigen: Ihren neuen Reichtum teilen sie ungern mit Fremden lang genug haben sich viele reiche Fremde ja über die Mittellosigkeit der Russen lustig gemacht. Und Besserwisser dürften es in Russland heute extrem schwer haben, Vertrauen zu gewinnen. |
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Die Helden der russischen TV-Comedy-Serie „Nascha Rascha“" („Unser Russia/Russland“) Schamschut und Rafschan sprechen kaum Russisch und stellen deshalb auf der Baustelle immer wieder ordentlich Unfug an (© TNT4.ru)
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Tiefes, langsam anschwellendes Wummern reißt mich aus dem Schlaf. Auf dem Regal beginnen die Gläser, klirrend zu tanzen. Mit Trippelschrittchen bewegen sie sich zielstrebig auf den Rand des Holzbretts zu. Ich stürze aus dem Bett, rette im Vorbeistolpern das erste Weinglas vor dem Absturz in die Tiefe und reiße dann den Vorhang auf. Aufatmen: Es ist nicht die Apokalypse, kein Erdbeben und auch nicht das riesige Reptil mit dem sympathischen Namen „Monstro“ (im englischen Original „Cloverfield“), das ich gestern Abend mit nachhaltigem Schrecken im Kino gesehen habe.
Nein, die Erklärung ist viel einfacher. Und zum Glück viel beruhigender: Es ist Samstagmorgen und gewöhnlicher Doozer-Alarm in Moskau. Nichts weiter. Also, ich muss den Notkoffer nicht packen. Ich lege mich einfach noch einmal hin, glotze ein bisschen an die Zimmerdecke bis es 9.00 Uhr ist und es sich lohnt, Frühstück zu machen. Liegend plane ich also die Vorbereitung des Frühstücks: Als erstes werde ich das Ei aus der Packung nehmen und auf die Anrichte legen. Topf aus dem Schrank nehmen, Wasser einfüllen, Gas aufdrehen, anzünden, Topf auf die Gasflamme. Bis das Wasser kocht, zwei Scheiben Toast bereitlegen.
Eine Scheibe Käse aus dem Kühlschrank nehmen und parallel zur ersten Toastscheibe auf die Anrichte legen. Neben die andere Scheibe lege ich nichts - die wird ja mit Aprikosen-Marmelade bestrichen. So, jetzt noch Margarine aus dem Kühlschrank nehmen und den Salzstreuer vom Regal. Alles muss schön in rechten Winkeln zueinander angeordnet werden. Das ist das Wichtigste. Dann schmeckt es hinterher am besten - das zeigt die Erfahrung. Jetzt bin ich die gesamten Vorbereitungen einmal im Geist durchgegangen und es ist trotzdem erst 8.30 Uhr. Also noch eine halbe Stunde Zeit bis zum Frühstück. Was machen? Mein Kopf ist leer. Ach, vielleicht einfach mal erklären, was es mit den Doozern auf sich hat. Ich wollte es ja selbst erst nicht glauben, als ich vor fast drei Jahren hierher umgezogen bin. Aber, es gibt sie. Es gibt die Doozer tatsächlich (genauso übrigens, wie die Fraggles - aber das erzähle ich ein anderes Mal). Und noch dazu ganz schön viele - in Moskau praktisch alle hundert Meter.
Doozer auf der Kreuzung vor dem Weißrussischen Bahnhof, Doozer hinter meinem Haus, Doozer im Viertel „Moscow City“. Die Doozer bauen die Kanalisation, sie bauen Autobahn-Brücken, Metro-Tunnels und vor allem bauen sie ein Hochhaus neben dem anderen. Mit ihren orangefarbenen Helmen und gelben Westen stehen sie von morgens 7.30 Uhr bis abends 22.00 Uhr auf den Baustellen. Sie schleppen Zementsäcke, Bewehrungsstahl, schieben Schubkarren mit Steinen, tragen Bretter, bohren, hämmern, mauern ohne Unterbrechung und bei jedem Wetter. Sogar bei -15 Grad Celsius und strammem Wind arbeiten die Männer aus Usbekistan und Tadschikistan tapfer auf den Gerüsten. Bei diesem Wetter sitzen die Russen lieber in der warmen Stube; auf die Straße gehen sie nur, wenn es unbedingt nötig ist.
Die Doozer sind also überall. Sie sind bekannt. Sogar zu Fernseh-Ruhm haben es zwei Doozer in Russland bereits geschafft: Schamschut und Rafschan sind die Stars der Comedy-Serie „Nascha Rascha“ („Unser Russia/Russland“). Die Gags sind wirklich zum Schießen komisch. Politisch unkorrekt, aber witzig. Bei der letzten Folge allerdings, da war der Gag nur bedingt komisch: Der Bauherr begleitete die beiden von der Baustelle, gab ihnen ihren Pass zurück - den hatte er einkassiert, damit sie nicht abhauen konnten - und zog ein dickes Bündel Banknoten aus der Westentasche. Schamschut und Rafschan freuten sich bereits. Jetzt würden sie also ihren hart verdienten Lohn auf einen Schlag ausbezahlt bekommen.
Da beginnt der Bauherr vorzurechnen: „Ihr habt mir mehr Schaden angerichtet, als ihr Werte geschaffen habt. Ich schulde also jedem von euch gerade mal noch 400 Rubel.“ Zum aktuellen Kurs sind das 11,50 Euro. Nicht gerade viel für monatelange Knochenarbeit bei klirrendem Frost. Solche Dreistigkeit wird sich heute selbst in Moskau kaum noch jemand genehmigen können? Und ob! Betrogen werden die einfachen Bauarbeiter aus Mittelasien noch oft genug. Nachrichten in den Medien über Betrugsfälle gibt häufig. Also so richtig lustig ist der Gag eigentlich nicht. |
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Liebe Freunde und Verwandte, Bekannte und werte Unbekannte: Es ist vollbracht. Es ist ein Betriebswirt! Nach knapp zwei Jahren Doppelbelastung habe ich jetzt den Abschluss Betriebswirt IWW der Fernuni Hagen in der Tasche. Das Grundstudium hatte ich bereits vor knapp einem Jahr mit Erfolg abgeschlossen und in den Vertiefungsfächern Marketing, strategisches Management und Kostenrechnung erreichte ich jetzt auch gute Ergebnisse. Schön, dass es geschafft ist. Und zugleich schade, dass es vorbei ist. |
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Man beachte auch die Ähnlichkeit mit Luke Skywalker, der ebenfalls eine echte und eine schwarze künstliche Hand hatte: Moskau-Blog-Autor Christian Jahn auf der Eisbahn im Moskauer Gorkiy-Park (© AK/Christian Jahn)
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Text folgt. |
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Witali Kalojew ist wieder zu Hause, in Russland. Der hagere, gebeugte, bärtige Mann kam gestern Nacht am Flughafen in Domodedowo im Süden Moskaus an. Direkter Flug aus Zürich. In der Schweiz hatte Kalojew die letzten dreieinhalb Jahre im Knast abgesessen. Grund: Der Mann war in die Schweiz gereist und hatte dort den Fluglotsen Peter Nielsen vor dessen Wohnhaus erstochen. Grund dafür wiederum: Nielsen gehörte zum privatwirtschaftlichen Unternehmen Skyguide, das im Auftrag den Flugverkehr über Schweizer Staatsgebiet überwachte und lenkte. Im Juli 2002 hatte Nielsen nachts Dienst geleistet. Wegen nicht gewarteter, defekter Technik und schwerwiegender Verstöße gegen die Dienstvorschriften kollidierten in der Nacht ein DHL-Frachtflugzeug und eine Passagiermaschine aus der russischen Republik Baschkortostan in der Nähe des Bodensees. Bei dem Unglück starben 71 Menschen, darunter viele Kinder und die gesamte Familie Kalojews - ein Mädchen, ein Junge und seine Frau.
Kalojew ist eine tragische Figur. Daher die geballte Empathie, mit der der Heimkehrer in Russland begrüßt wird. Schon im Flugzeug begleitet ihn ein Fernsehteam - die Bilder werden auf allen Kanälen russlandweit übertragen. Mitreisende in der Business Class bitten Kalojew um Autogramme! In seiner Heimatregion Ossetien ist er ein Volksheld. Dümmlich freilich die Kommentare von Vertretern der Jugendorganisation „Naschi" - man kann nur hoffen, dass die Mehrzahl der Russ:innen ihnen nicht zustimmen würde: „Witali Kalojew ist ein Mensch im wahrsten Sinne des Wortes. Er wurde bestraft und erniedrigt im Namen des gesamten Landes. Wie viele haben wirklich begriffen, dass, würde es ein paar Menschen mehr vom Schlage Kalojews geben, das Verhältnis zu Russland in der gesamten Welt ein anderes wäre.“ Nachdenklich stimmt dagegen Kalojews Aussage, die eine russische Boulevardzeitung zur Titelschlagzeile macht: „Im Schweizer Gefängnis sitzt man besser als in der russischen Provinz.“ Auch wenn es inhaltlich stimmen mag und womöglich aus dem Kontext gerissen ist, am Ende kommt raus: Du fliegst in die Schweiz, stichst einen Menschen ab und wirst anschließend mit dreieinhalb Jahren Komfort-Knast belohnt. Die russischen Leser:innen der Boulevardzeitung müssen sich totlachen über die Westeuropäer. Was soll das sein? Strafe für einen Mord?
Kalojew war wegen des Mordes an Nielsen ursprünglich zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Im Juni 2007 verkürzte ein Schweizer Gericht dann die Strafe auf fünf Jahre und drei Monate. Am 08. November entschied ein Gericht, Kalojew bereits nach dreieinhalb Jahren wegen guter Führung zu entlassen und nach Russland zurück zu überführen. Nach der Landung in Domodedowo bedankte sich Kalojew beim russischen Präsidenten und bei der Russischen Botschaft in der Schweiz für die moralische und diplomatische Unterstützung während seiner Haftzeit. Man will kaum glauben, dass die so baldige Entlassung aus der Haft lediglich auf einseitiges diplomatisches Betreiben Russlands zustande gekommen ist. Befürchten die emsigen Schweizer womöglich Nachteile im Russland-Geschäft? Denn, wie oben gezeigt, ist der Skandal um den Flugzeugabsturz in Russland nicht vergessen. Nicht zuletzt die Schweizer Tourismus- und Luxusgüterindustrie sowie die Finanzdienstleister dürften eine schöne Stange Geld mit den russischen Oligarchen verdienen. Außerdem laufen derzeit die Vergabeverfahren für den Bau der Wintersporteinrichtungen für die Olympischen Spiele in Sotschi 2014. |
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Charisma pur und dazu noch eine super Stimme - Swjatoslaw Wakartschuk, der Sänger der ukrainischen Rockband „Okean Elsi“ (© Christian Jahn)
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In der Musik sind die Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine vollkommen unbelastet. Liebling auf beiden Seiten der Grenze: Okean Elsi. Ich war jetzt zum zweiten Mal auf einem ihrer Moskauer Konzerte - voher hatte ich sie bereits zweimal während der orangefarbenen Revolution in Kiew auf dem „Majdan Nezalezhnosti“, dem „Unabhängigkeits-Platz“also, gesehen. Das erste Moskauer Konzert im relativ kleinen Club B2 an der Sadowaja-Ringstraße war ausverkauft. Ein Jahr später reicht der Club offenbar schon nicht mehr aus und das Konzert am Freitagabend findet im neuen Klub B1 Maximum statt, einer mittelgroßen Konzerthalle. Ausverkauft ist es nicht, aber der Saal ist gut gefüllt.
Was wirklich Spass macht, ist die gute Stimmung im Publikum. Normalerweise sprechen die Moskauer schon gern einmal herablassend über die Ukrainer und bezeichnen sie als „Chochly“, also eine Art Kosaken-Bauern mit kahl geschorenem Schädel und Zopf auf der Schädeldecke sowie - unbedingt - langem, geschwungenem Schnurrbart. Die Ukrainer ihrerseits revanchieren sich mit der abwertenden Bezeichnung „Moskalje“ für die arroganten Moskauer. Okean Elsi vereint die getrennten Brudervölker wieder - quer durch alle Altersklassen liegen sich zumindest die Fans der Band an diesem Abend jauchzend in den Armen. Dabei ist Okean Elsi eine unpolitische Rockband - mal abgesehen vom Engagement des Sängers Swjatoslaw Wakartschuk für den ukrainischen Präsidentschaftsanwärter Wiktor Juschtschenko bei den politischen Auseinandersetzungen im Jahr 2004/2005. Soweit mir bekannt ist, hat Wakartschuk dieses Engagement mittlerweile öffentlich bedauert, enttäuscht von dem Parteien-Hick-Hack nach der „Revolution“.
Die Band Okean Elsi spielt in der klassischen Rock'n'Roll-Besetzung Gitarre, Bass, Schlagzeug, Keyboards und Gesang. Das Repertoire besteht aus harten Rocksongs und langsamen Balladen. Die Stücke sind voll von Emotionalität und teilweise auch Pathos. Wie so oft: Mit dem Sänger steht und fällt die Band. Wakartschuk ist sowohl stimmlich als auch charismatisch eine Ausnahmeerscheinung. Würde er nicht Ukrainisch singen, sondern Englisch, würde er womöglich mit Bono von U2 oder anderen Stimmakrobaten wetteifern. Allerdings wären Okean Elsi dann auch nicht mehr Okean Elsi. |
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Heute hielt der russische Präsident Wladimir Putin auf dem ersten russsischen TV-Kanal seine alljährliche Bürger-Fragestunde ab. Um es vorweg zu nehmen: Das, was diesmal auch sogenannte deutsche Qualitätsmedien von dieser Fragestunde wiedergaben, hatte mit der Realität der Fragestunde nicht mehr viel zu tun. Ein echter Tiefpunkt der deutschen Russland-Berichterstattung. Im Vorfeld der Fragestunde war in Moskau eigens ein Callcenter eingerichtet worden, das die Fragen Tage vor der Livesendung sammelte und sortierte. Die Bürger konnten zu jedem beliebigen Thema Fragen stellen und sie per SMS und E-Mail abgeben. Versteht sich, dass die Moderatoren nicht ernst gemeinte Comedy-Fragen vorher aussortierten. Donnerstagmittag zählte das Callcenter dann bereits 2,2 Millionen eingegangene Fragen.
Während der dreistündigen Sendung beantwortete Putin ununterbrochen so viele Fragen wie möglich. Außerdem beantwortete er Fragen von Anrufern, die live zugeschaltet wurden und er antwortete russischen Bürger:innen, die in einigen großen Städten in den russischen Regionen in Live-Schaltungen ihre Fragen stellten. Zum Verständnis ist wichtig zu wissen, dass Russland ein riesiges Land ist - es umfasst Gebiete in elf (!) Zeitzonen. Die Regionen unterscheiden sich teilweise voneinander wie der Himmel von der Erde. Während das Durchschnittseinkommen in Moskau mittlerweile bei 800 Euro liegt, müssen die Menschen in einigen Regionen mit 200 Euro Durchschnittsgehalt monatlich auskommen, wobei die Preise für Lebensmittel in der jüngsten Vergangenheit gerade auf dem Land gestiegen sind.
In Nordrussland gibt es immer noch hunderte Siedlungen ohne Anschluss an die Telefonnetze und ohne intakte Straßenverbindungen - unvorstellbar, nicht wahr? Für Menschen aus dem dicht besiedelten und infrastrukturell bis ins letzte Dorf gut ausgebauten Deutschland kaum begreifbar, was das bedeutet. Das nur, um klar zu machen, wie unterschiedlich die Lebensrealitäten sind und wie unterschiedlich deshalb auch die Probleme und Fragen der Menschen aus verschiedenen russischen Regionen sind. Wer als Korrespondent das nicht beachtet und es auch sonst nicht allzu ernst nimmt mit den Grundsätzen einer Fakten orientierten Berichterstattung, der wird vielleicht viel Material produzieren, aber wenig inhaltlich Sinnvolles. Als Beispiel für das Versagen der deutschen Berichterstattung über die Bürgerfragestunde sei eine Video-Reportage auf der Internetseite eines führenden deutschen Nachrichtenmagazins genannt. Dort werden zwei Sequenzen aus Live-Schaltungen in zwei verschiedene russische Regionen zu einem anderthalb minütigen Clip montiert.
In der ersten Sequenz, einer Live-Schaltung zum Militärstützpunkt Plessezk, fragt ein Militär Putin, in welchem Zeitrahmen er und seine Kollegen mit der Modernisierung der Armee rechnen können. Nur nebenbei: Laut russischen und auch ausländischen Experten befindet sich die russische Armee in einem bedauernswerten Zustand. Zeugnis für den maroden Zustand, die Perspektivlosigkeit und die vermutlich auch daraus folgende, verbreitete Disziplinlosigkeit, sind jährlich, in Friedenszeiten, rund 2.000 tote Rekruten. Laut der Menschenrechtsorganisation „Komitee der Soldatenmütter“ werden die Rekruten in der russischen Armee von Vorgesetzen nicht selten erniedrigt, geprügelt und in Aufnahmeritualen zu Tode gequält. Dafür gibt es im Russischen den Begriff der „Dedowschtschina“ oder „Herrschaft der Alten“. Für Reformen gibt es in fast jedem Bereich der russischen Gesellschaft Notwendigkeit. Und Putin und seine Regierung versuchen derzeit eben auch, Ordnung ins Militär zu bekommen. Ein Hoffnung machendes Anzeichen: Vor Kurzem wurden erstmals hochrangige Militärs unehrenhaft entlassen, die den Tod eines Rekruten zu verantworten hatten. Dass Putin die Bürgerfragestunde natürlich auch für PR seiner Reform-Vorhaben nutzt ist logisch und legitim. Er zählte dem Militär in Plessezk also bei der Live-Schaltung auf, welche Waffengattungen modernisiert werden. Und lobte die neuen Atomwaffen.
Die zweite Sequenz, die in dem Video des deutschen Nachrichtenmagazins verwendet wurde, stammt aus einer Live-Schaltung nach Kasan an die Wolga. Sie fand später statt, mit deutlichem zeitlichem Abstand zur ersten Schaltung. Im montierten Video, wie gesagt, folgen beide Sequenzen unmittelbar aufeinander. In Kasan fragte ein Bürger den Präsidenten Putin, warum er sich Anfang Oktober für die derzeit in der Regierungsverantwortung stehende Partei „Jedinaja Rossija“ („Einiges Russland“) als Spitzenkandidat bei den Parlamentswahlen im Dezember 2007 aufstellen lassen hat. Seiner Meinung nach, so der Bürger, müsse der Präsident parteilos sein. Das entspreche dem Geist der Verfassung. Tatsächlich ist die Parteilosigkeit des Präsidenten aber in der Verfassung nicht ausdrücklich formuliert. Putin antwortete, mit seiner Kandidatur wolle er die Kontinuität der Politik in Russland garantieren. Und das funktioniert so: Putin hat Russland in den Augen der Mehrheit der Russ:innen stabilisiert. Sie lieben ihn dafür. Die Partei, die ihn als Spitzenkandidat bei den Parlamentswahlen 2007 ins Feld führt, kann sicher sein, dass sie die Mehrheit der Stimmen erhält. Und so bliebe „Jedinaja Rossija“ auch nach Putins Abtritt als Präsident an der Macht. Die alte Reform-Politik würde weitergeführt.
In dem Video-Film kombinieren die Korrespondenten jetzt die beiden Aussagen zu völlig unterschiedlichen Themen - Sie haben es gelesen - und siehe da: Daraus wird ein Filmchen, das zwar nicht mehr der Realität entspricht, sich aber in Westeuropa sicher sehr gut verkaufen lässt. Aussage: Putin will Kontinuität in Russland und das bedeutet vor allem den kontinuierlichen Ausbau des Atomwaffen-Arsenals. Dass zwischen diesen zwei Sequenzen ungefähr eine halbe Stunde Sendezeit mit Live-Schaltungen in andere Regionen lag, bei denen Fragen zu Wurst- und Eierpreisen, zu Kindergärten, Mutterschaftsgeld und der Entwicklung von Mittelzentren gestellt wurden - who cares? Was zählt ist offensichtlich der Medien-Scoop. Man will sich fast schämen für die Kollegen. Wozu gibt es eigentlich Journalistenschulen, wenn die Absolventen anschließend arbeiten, als seien sie Redakteure bei „Vera am Mittag“? Mir hat diese Erfahrung mal wieder zu einer Erkenntnis verholfen. Ich weiß jetzt warum die Krankenkasse der freien Journalisten Künstlersozialkasse heißt: Mit Journalismus hat das, was die Kollegen veranstaltet haben nicht viel zu tun. Mit mittelmäßiger Kunst vielleicht noch am ehesten. |
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Die Texte der russischen Rap-Truppe "Krowostok" sind nichts für Zartbesaitete - genauso wenig wie das Cover und der Titel des letzten Albums "Skwosnoje", den man im Kontext mit "Glatter Durchschuss" übersetzen kann (© Christian Jahn)
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Die Moskauer Szenemagazine feiern sie als die Intelligenzija des Hauptstadt-Hiphops. Tatsächlich machen Frontmann Schilo und sein Mitstreiter Fantomas 2000 an den Plattentellern ungewöhnliche Musik und ausgesprochen schräge Texte. Gut vorbereitet mit einem Jahr Studium der letzten CD „Skwosnoje“ besuchte ich eines der seltenen Konzerte von Krowostok, zugleich mein erstes Rap-Konzert überhaupt. Schilo, der dürre Frontmann mit dem vorgeschobenen Kinn und den hängenden Schultern, ist der Star des Duos. Mit lässigem Gang wechselte er von einer Seite der Bühne auf die andere und reimte dabei mit seiner leicht nasalen Stimme die Texte unter die begeisterten Fans vor der Bühne.
Was Schilo da von sich gibt, ist alles andere als leichte Kost. Themen: Immer wieder Sex, Mord und Totschlag - in ausdenkbaren und unvorstellbaren Varianten. In „Ljudojed“ etwa zählt der am ganzen Körper tätowierte Mann im Stakkato die Vorlieben eines Menschenfressers auf. Leber mit Zwiebeln schmeckt am besten und ist jedem Hamburger um Meilen voraus. Nina-Karina ist eine Ode an die Frau: Von vorne, von hinten, gefesselt und mit Gasmaske über dem Kopf - der Rapper liebt das zarte Geschlecht. Auch die Musik des Duos ist ungewöhnlich und wie ich finde erste Sahne. Ich bin kein großer Kenner des Genres. Aber mich erinnert sie am ehesten an den Wu-Tang-Clan oder den Soundtrack zum Jim Jarmusch Streifen Ghost Dog - ist ja auch von einem Wu-Tan-Mitglied geschrieben.
Fazit: Krowostok gehören sicherlich zu den Orchideen des russischen Hiphop. Die Musik ist spitze, die Texte muss man mit Abstand und Humor nehmen. Die neue CD kommt bald in die Läden und sollte in einer guten russophilen Plattensammlung nicht fehlen - einen Vorgeschmack bekamen wir bereits beim Konzert geboten. Und wenigstens einmal sollte man sich einen Live-Auftritt auch ansehen - am besten noch solange die Ticketpreise nicht über 15 Euro geklettert sind. |
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Leider kann man nicht sagen, dass Kaliningrad heute eine schöne Stadt ist. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs machten britische Bomber die ehemalige Hansestadt Königsberg dem Erdboden gleich. Im wieder aufgebauten Dom im Zentrum der Stadt hängen alte Fotografien, die das unfassbare Ausmaß der Zerstörung zeigen. Nach dem Krieg setzten die Sowjets im Zentrum einen funktionalen aber grottenhäßlichen Plattenbau neben den anderen. Nach Fertigstellung wurde in die Betonkästen nichts mehr investiert. Die meisten sind bis heute in einem beklagenswerten Zustand. Erst allmählich beginnen die Sanierungsarbeiten im Zentrum von Kaliningrad. Hier entsteht nach alten Entwürfen der Stadtteil Fischdorf. Moderne Bauten im alten Fachwerk-Stil beherbergen in Zukunft Restaurants, Hotels, Büros und Museen.
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Moskau-Blog-Autor Christian Jahn auf dem Turm des Kaliningrader Stadtviertels Fischdorf. Wer einen Wunsch hat, reibt das Ei, das die Möwen-Skulptur festhält. Manche legen hier zusätzlich einen Rubel ab (© W. Sokolow/Christian Jahn) | In den neuen Gebäuden des Kaliningrader Stadtviertels Fischdorf werden Restaurants, ein Viersternehotel und verschiedene Kultureinrichtungen Platz finden (© Christian Jahn) | |
Die Uferpromenade im Kaliningrader Fischdorf. Wenn alles fertig ist, sollen auf der Promenade Touristen spazieren und Geld ausgeben (© Christian Jahn) |
Der wiedererrichtete Kaliningrader Dom. Auch er war durch die britischen Bombardements am Ende des Zweiten Weltkriegs stark zerstört (© Christian Jahn) |
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Herbstzeit - gelbe, grüne, rote und braune Blätter, blauer Himmel und weiße Wolken, goldene Sonne. Die beste Zeit für einen Ausflug ins Moskauer Umland: Zum Beispiel in das rund 70 Kilometer nordöstlich von Moskau entfernt gelegene Sergijew Posad. Die Elektritschka, der Vorortszug, startet am Jaroslawler Bahnhof und erreicht die Kleinstadt nach rund 80 Minuten Fahrt.
Am Rande von Sergijew Posad befindet sich das berühmte Dreifaltigkeits-Sergios-Kloster. Der Geistliche Sergej Radoneschski gründete es bereits in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. In der Folgezeit entstanden auf dem Klostergelände immer mehr Kirchen in unterschiedlichen architektonischen Stilen. Das Kloster war damals aber nicht nur Pilgerstätte für die gläubigen orthodoxen Russen, sondern auch ein wichtiger militärischer Stützpunkt im Norden der russischen Hauptstadt Moskau. Das ist bis heute leicht an der gewaltigen weißen Wehrmauer zu erkennen, die die gesamte Klosteranlage umgibt und aussehen lässt wie eine Ritterburg. Dank dieser Wehranlage hielt das Kloster im 17. Jahrhundert einer sechzehnmonatigen Belagerung des polnischen Heeres Stand.
Heute öffnet das Kloster für jeden seine Tore. Der Besuch der Anlage ist kostenfrei. Nur für Foto- und Videoaufnahmen müssen 150 beziehungsweise 200 Rubel gezahlt werden. Das sind zum aktuellen Kurs zwischen vier und sechs Euro. Frauen müssen zudem ihre Haare mit Tüchern bedecken, die sie entweder mitbringen oder an der Klosterkasse für 30 Rubel oder einen Euro kaufen. Wenn man dann schon einmal in Sergijew Posad ist, sollte man die Gelegenheit nutzen und auf dem Rückweg zum Bahnhof durch den alten Stadtteil gehen. Hier stehen noch alte russische Holzhäuser. Einige hoffnungslos verfallen. Allerdings auch sehr schon restaurierte Datschen und dazwischen kompfortable Neubauten - so mancher Moskauer scheint die Vorzüge der ländlichen Ruhe für sich entdeckt zu haben.
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Gewaltige Mauern umgeben die Klosteranlage des Lawra in Sergijew Posad (© Norbert Jahn) | Die Eingangstore sind reich mit bunten Bildern aus Heiligenlegenden verziert (© Norbert Jahn) | |||
Die Kirchen auf dem Klostergelände stammen aus verschiedenen Epochen (© Norbert Jahn) | Kirche der Heiligen Sosima und Sawati Solowezki (© Norbert Jahn) | |||
Die Sowjets ließen einige der Kirchen schleifen. Heute ist nichts mehr davon zu sehen (© Norbert Jahn). | Der Ort Sergijew Posad, knapp 80 Kilometer von Moskau entfernt, ist ruhig und verschlafen (© Norbert Jahn). |
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Die Tochter eines kommunistischen Parteifunktionärs will am Wochenende mit ihren Freundinnen feiern. Brav, mit „Disco-Zopf“ und im gepunkteten Sommerkleidchen steht sie in der schäbigen Dorfdisco. Als der Freund ihrer besten Freundin den Raum betritt - er ist allein, sein Mädchen hat er zu Hause gelassen. Die beiden kommen sich näher, tanzen gemeinsam und zu vorgerückter Nachtstunde beschließen sie, gemeinsam mit dem Auto des Jungen zu einem benachbarten Gehöft zu fahren. Der Junge will dort illegal gebrannten Wodka kaufen. Anschließend, so ist es abgesprochen, will er das Mädchen nach Hause fahren. Doch daraus wird nichts. Für das Mädchen beginnt in dieser Nacht ein wochenlanger Albtraum. Es ist der Übergang von den Achtziger- zu den Neunzigerjahren in Russland. Eine Periode des Chaos und totaler Orientierungslosigkeit. Die breite Masse betäubt sich mit Alkohol und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs und dem Verkauf des eigenen Hausstands oder von selbst gezogenem Obst und Gemüse durch.
In seinem Film „Grus 2000“ („Fracht 2000“) erzählt der russische Star-Regisseur Alexej Balabanow eine Geschichte, die er aus selbst erlebten Ereignissen und realen Erlebnissen befragter Menschen zusammengesetzt hat. Es ist die Geschichte eines unvorstellbar perversen Verbrechens. Doch diese extreme Geschichte dient nur als Vehikel, als Medium, um dem Zuschauer die bodenlosen Leere nahezubringen, den Wahnsinn, der in Russland nach dem Zusammenbruch eines politischen Systems, des Systems der Sowjetunion, und aller ordnenden Regeln regierte. Um es kurz zu machen: Das Mädchen und der Junge erreichen den Hof. Der Junge besäuft sich und schläft ein. Ein offenbar sadistischer Polizist, der zufällig auf dem Hof zu Gast ist, nutzt die Gelegenheit, entführt das Mädchen, bringt es in die Wohnung seiner verblödeten Alkoholiker-Mutter, bindet das Mädchen ans Bett und malträtiert es über Wochen physisch und psychologisch. Was er mit dem Mädchen anstellt, ist so unvorstellbar schrecklich, dass einem beim Ansehen des Films schlecht wird. Unter anderem schafft der perverse Polizist mit Hilfe eines Kollegen den aus Afghanistan im Zinksarg überführten Leichnam des Verlobten des Mädchens in seine Wohung und lässt ihn auf dem Bett neben dem Mädchen vor sich hin faulen. Wie gesagt, verarbeitete Regisseur Balabanov in seinem Film nach eigenen Angaben Ereignisse, die ihm selbst oder Menschen in den chaotischen Achtziger- und Neunzigerjahren widerfahren waren.
Im Film werden das Mädchen und sein Entführer von mehreren Zeugen gesehen. Vom Jungen, der zum Zeitpunkt der Entführung schon wieder wach war. Von einem weiteren Gast auf dem Hof. Von der verblödeten Mutter des Sadisten - sie saß wochenlang im Nebenzimmer während ihr perverser Sohn das Mädchen quälte. Sie sprach sogar mehrmals mit dem Mädchen, und gegenüber Nachbarn erwähnte sie verwundert, dass die gesamte Wohnung voller Fliegen sei - Parasiten, die den Leichnam des verstorbenen Soldaten im Nebenzimmer befallen hatten. Warum griff keiner der Zeugen ein? Die einen hatten Angst, das ihnen im chaotischen, rechtlosen Russland Konsequenzen drohten, wenn sie sich einmischten - schließlich trug der Entführer eine Polizeiuniform. Und den anderen war einfach alles scheißegal. Was geht es mich an, was der bösartig wirkende, fremde Mann mit dem total verängstigten Mädchen auf der anderen Straßenseite macht? Was geht es mich an, wenn das Mädchen stirbt? Ist doch eh' alles sinnlos. Bei der Präsentation des Films auf dem Internationalen Kinofestival in Venedig erklärte Balabanow gegenüber dem berichtenden russischen Fernsehen, er glaube nicht, dass das westeuropäische Publikum den Sinn des Films verstehe. Wahrscheinlich hat er Recht. Wer nicht zumindest einen flüchtigen Eindruck von den Neunzigerjahren in Russland bekommen hat, dem dürfte trotz der Erklärungen Balabanows verschlossen bleiben, worum es geht. |
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Wie frisch mit Photoshop aufbereitet, sieht der Sonnenuntergang auf dem Foto aus. Ist aber ein echter, von meinem Balkon aus fotografiert - tja in Moskau ist eben alles ein bisschen geiler (© Christian Jahn)
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Das war's wohl mit dem russischen Sommer. So plötzlich wie er da war (siehe 19. Mai), so schnell war er auch wieder weg. Das Thermometer zeigt noch um die 13 Grad Celsius. Die gefühlte Temperatur liegt weit darunter. Unter dem Schreibtisch frieren die Zehen ab. Wahrscheinlich liegt das an dem enormen Temperatursturz innerhalb weniger Wochen - Ende August war es noch unerträglich heiß und alle haben die Hitze verflucht; wir hatten vergessen, wie kalt und nass der russische Herbst sein kann.
Doch das wirklich Schlimme ist ein Überbleibsel aus Sowjetrussland: Die Häuser werden zentral mit Fernwärme versorgt. Das heißt konkret, die Heizung wird in der gesamten Stadt auf einen Schlag eingeschaltet und zwar dann, wenn das Thermometer drei, vier Tage lang weniger als acht Grad Celsius anzeigt. |
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Lenin (vorne, Stein), Christian (hinten, echt) (© A. Biesemeier/Christian Jahn).
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Hinter dem Zentralen Haus des Küstlers am Ufer des Moskwa-Flusses gibt es einen geheimen Platz. Da treffen wir uns heimlich. Wir, deren Lieblingsessen die russische Suppe „Borschtsch“ ist - wegen der roten Farbe. Hinter dem Zentralen Haus des Künstlers befindet sich ein Skulpturenpark mit alten, ausrangierten Lenin- und Stalin-Denkmälern und Büsten. Ein bißchen kultige Sowjetfolklore im Fotoalbum macht immer was her. Und deshalb erkläre ich den Besuch des Parks hiermit zum Pflichtprogramm eines jeden Moskau-Touristen. Aber auch viele Russen und Russinnen schlendern gern durch den Park. Witzig: Besonders die jungen Russinnen stehen darauf, sich mit Lenin und Stalin oder - noch besser - mit einem steinernen Sowjetsoldaten mit verzerrtem Gesicht, entblößtem Oberkörper und Kalaschnikow-Gewehr in den Händen fotografieren zu lassen. Ja, die Russ:innen sind auf jeden Fall ein bisschen anders - für deutsche Nachkriegs-Pazifisten-Augen um so mehr. |
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Niemand lässt sich gern an der Nase herumführen. Ich auch nicht. Deshalb bin ich sauer auf die russische Regierung und die russische Justiz: Anfang der Woche sorgte der oberste russische Staatsanwalt Juri Tschaika für großes Aufsehen in Russland und im Ausland. Er verkündete, dank der Ermittlungsanstrengungen seien Auftraggeber, Organisatoren und Vollstrecker des Mords an der Journalistin Anna Politkowskaja identifiziert. Sicher, wer einige Zeit in Russland verbracht hat, weiß, dass solche Verlautbarungen mit Vorsicht zu genießen sind. Wahrheitsgehalt und Halbwertszeit sind oft gering. Da aber auch die Redaktion der ermordeten Journalistin Politkowskaja laut den Beiträgen vieler seriöser - und teils auch als kritisch geltender - russischer Online-Medien an diesem Tag keine grundlegenden Einwände gegen die Ermittlungsergebnisse vorzubringen hatte, ging ich zunächst einmal von der Richtigkeit der Verlautbarungen aus.
Von der vollständigen Aufklärung des Verbrechens könne zwar noch keine Rede sein, aber die Staatsanwaltschaft habe die richtigen Täter festgenommen. Sie gehörten zu einer großen Struktur, deren Verästelungen bis in Ministerien und den Geheimdienst hineinreichten - so lautete die Einschätzung der Redaktion der „Nowaja Gaseta“ Anfang der Woche. Für Online-Medien heißt es in einem solchen Fall: Schnell schießen. Sonst haben die Wettbewerber die Nachricht schneller auf dem Ticker und du verlierst tausende von Lesern. Tausende von Lesern das bedeutet Bekanntheit und das wiederum ist ein schlagendes Argument bei Werbekunden und damit Geld, das die Redaktionsarbeit finanziert. Wer schnell schießt, schießt leider auch schnell einmal daneben. Das ist der Nachteil von Online-Berichterstattung. Im Fall Politkowskaja kam die Redaktion der „Nowaja Gazeta“ erst mit einigen Tagen Verspätung mit ihrer Kritik an den Ermittlungserfolgen der russischen Staatsanwaltschaft in den Medien zu Gehör. Die Rede war nun von einer PR-Veranstaltung und, noch viel schlimmer, davon, dass die staatlichen Behörden die Spuren zu den richtigen Auftraggebern womöglich verwischen und den Fall Politkowskaja ad acta legen wollten.
Der Vorteil des Online-Journalismus ist natürlich wiederum, dass die Artikel auch später noch, nach der Veröffentlichung, „korrigiert“ werden können - anders als eine einmal gedruckte und verkaufte Zeitung. Doch selbst, wenn du als Online-Redakteur frühzeitig auf den Trichter kommst, nachbesserst und noch nicht tausende Leser deinen, sagen wir, unvollkommenen Artikel gelesen haben, der fade Nachgeschmack bleibt und die Konsequenzen lauten: 1) Bei brandaktuellen Nachrichten sind Konjunktiv und indirekte Rede allererste Priorität. Auch wenn im Journalismus immer stärker Meinung, Ecken und Kanten gefragt sind, in der „sekundenaktuellen“ Berichterstattung ist die Gefahr eines schnellen, unvollkommenen, vielleicht sogar falschen Urteils viel zu groß. 2) Wenn man praktisch „live“ berichtet, und unter enormem zeitlichem Druck steht, da man für ein Online-Medium arbeitet, sich zudem nicht immer selbst ein Bild machen kann und auf andere Medien als Quellen angewiesen ist, ist ein Höchstmaß an Objektivität anzustreben.
Das bedeutet dann, dass nicht nur die Lieblingsquellen berücksichtigt werden können, die man wegen einer ähnlichen politischen Einstellung gern liest. Genauso wichtig für ein möglichst realistisches Gesamtbild können auf den ersten Blick unwichtig erscheinende Details sein, die das Lieblingsmedium einfach ausblendet, weil diese Details die Stringenz der eigenen Argumentation verwässern - Redakteure sind auch nur Menschen und oft sehr von der eigenen Urteilskraft überzeugt. Die fraglichen Details erachtet das andere Medium womöglich gerade als extrem wichtig und vielleicht liegt es damit diesmal ausnahmsweise genau richtig. Soll vorkommen. 3) Und damit schaffe ich einen perfekten Übergang zu Punkt drei: Die Tatsache, dass ich nicht wenigen westlichen Medien eine einseitige, voreingenommene Berichterstattung vorwerfe, die Russland fast ausschließlich mit „dem Kreml“ und Putin gleichsetzt und grundsätzlich erst einmal alles kritisiert, was die russische Regierung macht, ja, hinter jeder Pressemitteilung Propaganda und damit immer das Gegenteil vom Gesagten vermutet, hat mich im Fall Politkowskaja ebenfalls zu einem vorschnellen Urteil verleitet. Im Gegensatz zu vielen Korrespondenten, die ständig nur über Putin, die Regierung, den Kreml schreiben, muss ich gestehen, dass ich Putin, die Regierung, den Kreml bisher vor allem aus den Medien kenne. Zu meinen engen Freunden gehören weder Putin noch die Minister der russischen Regierung. Es fällt mir deshalb schwer, diesen Politikern schlaue Tipps zu geben, wie ihre Politik gegenüber dem Westen auszusehen hat.
Mein Russland-Bild setzt sich vielmehr aus meinen Erfahrungen mit Russen im Alltag zusammen. Ich kenne 0815-Russen, die bei russischen Unternehmen oder den Töchtern deutscher Unternehmen in Moskau arbeiten, abends ins Kino gehen und am Wochenende im Park spazieren. Sie alle haben ihre Probleme ebenso wie Herr Müller in Bamberg und Frau Schmitz in Hintertupfingen. Über „die da oben“ schimpft Herr Iwanow genauso heftig wie Frau Schmitz. Von der Regierung sind sie beide gleich weit entfernt. Meine Überzeugung ist es, dass viele Verlautbarungen und Gesten Putins oder der russischen Regierung derzeit symbolischen Charakter haben. Den geprügelten Russen, die nach dem Zerfall des Sowjetunion bis heute mit großen materiellen Problemen zu kämpfen haben, soll so Selbstbewusstsein vermittelt werden. Das gilt jetzt umso mehr, da Wahlkampf ist und Putin und seine Umgebung den Wählern noch einmal demonstrieren wollen, wie sie Russland wieder zu Ansehen in der Welt verholfen haben - eben auch mit einer angeblich funktionierenden Justiz.
Politik ist nicht mit Wahrheit gleichzusetzen. Sie ist ein, zugegeben sehr ernstes, weil folgenreiches, Spiel. Es geht um Macht. Dass in der politischen Auseinandersetzung nicht immer die gesamte Wahrheit auf den Tisch kommt, das sollte uns Korrespondenten auch aus Deutschland irgendwie bekannt vorkommen. Es ist dann unsere Pflicht, den ausgeblendeten Teil der Realität an die Öffentlichkeit zu zerren. Im Fall Politkowskaja werfen die meisten russischen und internationalen Medien der russischen Regierung und der russischen Justiz nun vor, die Verkündung der Fahndungserfolge sei lediglich Propaganda und man wolle damit die Spuren verwischen und den Fall ad acta legen. Das spricht nicht für einen großen Vertrauensvorschuss. Offenbar habe ich mein angeborenes westliches Grundmisstrauen gegenüber „dem Kreml“ mittlerweile zu einem großen Teil abgebaut. Der Fall Politkowskaja hat mich aber daran erinnert: Ein Höchstmaß an Objektivität bedeutet auch, dass ich trotz aller Sympathien, etwa für ein Land oder einen verwickelten Akteur, auf keinen Fall all meine Zweifel über Bord werfen darf. Gesundes Misstrauen nennt man wohl, was ein Russland-Korrespondent braucht. |
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Die vergangene Woche war fast unerträglich heiß. Im Büro stand die Luft stickig und unbeweglich. Rettung versprach lediglich das Wochenende: ein Ausflug in eines der Moskauer Fluß-Strandbäder. Anders als in Deutschland, wo diese Art Freizeitvergnügen erst in den vergangenen Jahren immer populärer geworden ist, siehe etwa Berliner Pressestrand, sind und waren die Fluß-Strandbäder in Moskau immer angesagt. Vielleicht, weil es in der Millionenstadt sonst wenig Freibäder gibt, vielleicht auch, weil sich die große Mehrheit lange keine Auslands-Urlaubsreisen leisten konnte. Besonders bekannt ist der Strand „Serebrjanny bor“ im Nordwesten der russischen Hauptstadt. Er ist bequem auch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Mit der Metro bis zur Station Poleschajewskaja und von dort weiter mit einem Marschrutka-Taxi. Fahrzeit vom Weißrussischen Bahnhof aus ungefähr 45 Minuten.
Der Eintritt ins Strandbad kostet schlappe 50 Rubel - das sind zum aktuellen Kurs nicht einmal 1,50 Euro. Vom Trubel hinter dem Eingangstor sollte man sich nicht abschrecken lassen - hier kommen die auf ihre Kosten, die ohne Dauerbedröhnung und -unterhaltung durch Karussels, Imbissbuden und Strand-Disco nicht können. Wenige Meter weiter kann man dann in Ruhe von der Arbeitswoche entspannen. Auf den Sandhügeln gibt es genügend Platz.
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Am Ufer des Flusses Moskwa, auf den Sandhügeln des Strandbads „Serebrjanny bor“ kann man sich von der Arbeitswoche erholen (© Christian Jahn) | Zwischen dem gelb eingezeichneten Weg und dem blau eingezeichneten Fluss Moskwa erstrecken sich über mehrere Kilometer Uferwiesen und Sandstrände (© Christian Jahn) | |
Der sogenannte „Große Vaterländische Krieg“, wie der Zweite Weltkrieg in Russland genannt wird, ist allgegenwärtig: Eingang zum Park „Veteran“ beim Moskauer Strandbad „Serebrjanny bor“ (© Christian Jahn) | Insgesamt ist das Ufer auf dem Gelände des Strandbads „Serebrjanny bor“ natürlich. Beton und Asphalt gibt es nicht (© Christian Jahn) | |
Echt russisch oder zumindest dem Klischee entsprechend: Auf dem gegenüberliegenden Ufer ragt eine eingerüstete orthodoxe Kirche aus den Baumwipfeln empor (© Christian Jahn) | Ruhe und Entspannung vom Großstadtstress sind am Moskauer Strand „Serebrjanny bor“ garantiert (© Christian Jahn) |
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Oleg Kulik ist bekannt geworden als „Tschelowek sobaka“, als Hundemensch. Bei einer Ausstellung moderner Kunst in Zürich ließ er sich nackt vor der Eingangstür anketten und auf allen Vieren bellte er die Besucher der Ausstellung an, fletschte die Zähne und biss sogar zu, wenn ein Besucher an ihm vorbei in die Austellungshalle gelangen wollte. Diese Szene aus den Anfängen des Performance-Künstlers Kulik sowie eine andere Szene auf einem Moskauer Fleischmarkt sind in den Ausstellungsräumen des Zentralen Hauses des Künstlers (ZDCh) am Moskwa-Ufer als Filmausschnitte zu sehen.
Auf dem Fleischmarkt trat Kulik im Jesus-Kostüm mit Dornenkrone auf. Auf den Armen trug er ein lebendes Ferkel. Direkt neben dem Schlachter, der Rippen in kleine Stücke zerhackte, blökte Kulik wie ein angeschossenes Kalb. Sein Freund befragte unterdessen die Marktleute und Käufer, was sie von dem jungen Mann im Jesus-Kostüm hielten. Die meisten antworteten verwirrt, der Mann sei wahrscheinlich nicht normal oder krank.
Auch die jüngeren Werke Kuliks sind noch reichlich aggressiv - etwa die lebensgroßen, realistischen Skulpturen der Tennisspielerin Maria Scharapowa und der Sängerin Björk. Die Tennisspielerin ist im Sprung in der Ausholbewegung mit verzerrtem Gesicht dargestellt. Björk ist in einer Selbstmordszene ihres Films „Dancer in the Dark“ dargestellt. Mit geschlossen Augen und erschlafftem Körper baumelt sie an einem Strick. Die Körper beider abgebildeten Menschen sind von meterlangen Narben überzogen.
Dennoch, so komisch das klingen mag, bemerkt der Betrachter einen qualitativen Unterschied: Es wird deutlich, dass sich im Schaffen des Künstlers mit der Zeit ein ganz bestimmter persönlichen Stil durchgesetzt hat - das merkt jeder Ausstellungsbesucher, auch ohne kunsthistorische Vorbildung. Die Ausstellung läuft noch bis inklusive Sonntag, den 29. Juli. Und ich kann nur empfehlen, sie nicht auszulassen. Es ist eine Ausstellung, die einen nicht unberührt lässt und das ein oder andere Mal auch zum Schmunzeln bringt. Kinder sollte man allerdings zu Hause lassen. Sonst droht einem das, was die beiden unbedarften Oligarchen-Blondchen mit ihren Kleinen durchmachten mussten, die am selben Tag wie ich dort unterwegs waren. Im einen Ausstellungsraum hielten sie den verängstigten Kindern die Augen zu und im nächsten mussten sie ihnen die Ohren verstopfen. Die Ausstellung ist eindeutig nichts für Kinder oder Menschen mit schwachen Nerven. |
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Wunderschöne Villen vom Anfang des 20. Jahrhunderts stehen auch mitten im Zentrum der südrussischen Stadt Sotschi (© Christian Jahn)
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Gut, das ist jetzt nicht Moskau. Stimmt schon. Aber Abwechslung gehört in den Moskau-Blog einfach rein. Und deshalb jetzt mal ein Urlaubstipp: Koffer packen, sofort, und ab nach Sotschi! Die russische Schwarzmeerküste ist im Sommer auf jeden Fall eine Reise wert - wahrscheinlich auch im Winter, aber das habe ich selbst noch nicht getestet. Für die „Kleine Zeitung“, Graz, Österreich, durfte ich eine Reportage-Reise nach Sotschi und Umgebung machen. Von hier aus noch einmal ein herzliches Danke! Groß-Sotschi ist ein rund 145 Kilometer langer Landstreifen an der russischen Schwarzmeerküste. Der Streifen hat eine Breite zwischen 450 Metern und zwei Kilometern. Am Rande dieses Tals erheben sich die Ausläufer des Kaukasus-Gebirges.
Dank dieses geographischen Umstands sind Scheidungsfälle nach einem Sotschi-Urlaub auch äußerst selten. Denn während Papa den 2.000er bezwingt, kann Mama bei 2.000 Grad am Strand bruzzeln - das alles nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Abends sind beide dann wieder traut miteinander vereint. Toll! Auch nach dem Sotschi-Aufenthalt bleibe ich ein Sandstrand-Fan. Aber ich konnte meine Berührungsängste mit Kiesstränden stark abbauen. Die Kleinkinder am Strand haben mir zudem gezeigt: Wenn man nichts anderes kennt, dann robbt man auch jauchzend über den Kiesstrand. Allerdings habe ich keine einzige Kiesburg am Strand gesehen, was mich dann doch wieder in meiner Vorliebe für Sand bestärkt hat. Wenn man dann den Strand verlässt und sich auf Papas Spuren in die Berge macht, ist man ebenso beeindruckt. Groß-Sotschi hat Natur pur zu bieten. Kaum Straßen, Brücken und sonstigen Betonmüll findet man in der Landschaft. Dafür wildes, undurchdringlich erscheinendes Dschungel-Grün. Dazwischen zerklüftete Felsen und wilde Gebirgsbäche.
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Fight Your Fear: Bearbeitung des Kindheitstraumas offener Sessellift am Berg Aibga im Skigebiet Krasnaja Poljana (© Christian Jahn)
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Bis zu den Winterspielen 2014 wird sich das Landschaftsbild unweigerlich verändern. Fünfhundert Kilometer Straße sollen bis dahin die Bergwelt durchziehen. Für Naturfans sicher ein Horror. Dennoch finde ich die Entscheidung des Olympischen Komitees gut. Denn die Region muss entwickelt werden.
Das ist gut für die Menschen dort unten. Langfristig. Kurzfristig, das haben meine Gespräche ergeben, haben die Leute eher Angst vor den Veränderungen. Angst davor, dass ihre schöne wilde Natur in Mitleidenschaft gezogen wird. Verändert wird sie zweifellos - von daher ist die Angst nachvollziehbar. Aber ich glaube den Ingenieuren schon, dass man die Eingriffe heute weitgehend verträglich vornehmen kann. Und Angst haben die Menschen davor, dass die Verwaltung ihre illegal gebauten Häuschen einreißen lässt. Diese Angst ist wohl sehr berechtigt - die Gebietsverwaltung hat angekündigt, vor den Winterspielen 2014 aufräumen zu wollen. Da wird so mancher Sotschinzer sein „Sweet Home“ verlassen müssen.
Die Stadt Sotschi hat viele schöne Bauwerke aus der Gründerzeit zu bieten. Große weiße Villen in schönen, weitläufigen Parkanlagen mit den dunkelgrünen kegelförmigen Zypressen-Bäumen und buschigem Oleander. Bei meinem nächsten Sotschi-Sommer-Aufenthalt möchte ich gern mal in einem alten Sanatorium wohnen. Allerdings hat mir ein Blick in den Reiseführer und auf diverse Internetseiten wenig Hoffnung gemacht: Die Übernachtung in einem der alten im klassizistischen oder Jugendstil erbauten Erholungsheime kostet in der Saison zwischen hundert und tausend Euro! Da wünscht man sich zumindest für die Dauer des Sommers den Sozialismus zurück. Da war ja auch nicht alles schlecht. Naja, vielleicht gibt es ja Journalisten-Rabatt. |
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Um acht Uhr morgens sind die Strände entlang der 145 Kilometer langen Küste des Kurorts Groß-Sotschi noch weitgehend verlassen. Nur die Frühaufsteher genießen die ersten Sonnenstrahlen. Schwimmer können in Ruhe ihre Bahnen ziehen. Später am Tag müssten sie im Zickzack zwischen Luftmatratzen, Wasserbällen und sogar Jetbooten - diesen „Wassermotorädern“ - hindurchschwimmen, mit denen irgendwelche Hooligans in Strandnähe Eindruck schinden wollen. Angler nutzen die morgendliche Ruhe, um ungestört von den Schwimmern den ein oder anderen Fisch aus dem Wasser zu ziehen. Die Sonne ist morgens angenehm. Wenige Stunden später brennt sie sengend heiß auf den Kiesstrand, auf dem es dann unerträglich wird.
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Die Eisenbahnlinie führt direkt am Strand vorbei. Wenn man nicht sehr lärmempfindlich ist, stört sie eigentlich nicht und ist eher eine liebenswerte Besonderheit (© Christian Jahn) | Um acht Uhr morgens kommen die ersten Sonnenanbeter:innen an den Strand in der Nähe von Adler (© Christian Jahn) | |
Die rund zwanzig Meter weit ins Meer reichenden Wellenbrecher aus Beton werden von den Sotschinzern als „Sonnenbank“ genutzt (© Christian Jahn) | „Sonnenbank“, „Steh- und Angelpunkt“ oder Sprungbrett - Multifunktionalität wird groß geschrieben auf dem Steg in der Nähe von Adler (© Christian Jahn) |
Entspanntes Männerglück. Früh morgens werden die Zutaten für das Mittagessen aus dem Meer gezogen (© Christian Jahn) | Bis elf Uhr morgens ist die Sonne noch erträglich. Danach wird es zu heiß zum Sonnenbaden (© Christian Jahn) |
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Die Pan-Figur vor dem Mossowjet-Theater an der Bolschaja Sadowaja-Straße in Moskau (© Christian Jahn)
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Eigentlich bin ich kein Tanztheater-Fan. Aber, wenn Pina Bausch schon einmal nach Moskau kommt, dann gehe ich da hin. So dachte ich mir, nachdem ich die Ankündigung der „Masurca Fogo“ im Stadtmagazin Afischa gelesen hatte. Eine Woche vor der Veranstaltung musste ich gut 40 Minuten an der Kasse anstehen, um noch eine Karte für einen der Auftrittsabende zu erstehen. Am Freitag, dem 06. Juli, war das Mossowjet-Theater an der Bolschaja Sadowaja-Straße dann vollständig ausverkauft.
Zahlreiche Menschen wurden am Eingang abgewiesen. Einige schafften es, sich ohne Karte ins Innere zu schummeln, wurden dann aber doch entdeckt - da sie noch standen, als sich alle anderen Besucher bereits gesetzt hatten - und nach draußen eskortiert. Ich bemitleide die Abgewiesenen aufrichtig. Denn was die Tanztruppe von Pina Bausch an diesem Abend auf die Bühne brachte, war einfach toll. Die einfache Bühnendekoration blieb während der gesamten, gut zweistündigen Aufführung unverändert: In die Bühne des Mossowjet-Theaters war eine zweite Bühne hineinmontiert, ein weißer viereckiger Kasten, der sich eng an die eigentliche Wände und die Decke der Theaterbühne anpasste. In der Tiefe der Bühne erhob sich, sanft ansteigend, ein stilisierter grauer Hügel - seine Breite entsprach der Breite der Bühne, sein Gipfel schloss mit der Rückwand der Bühne ab.
Die gesamte Bühne und der Hügel dienten einerseits als Kulisse und andererseits auch als Projektionsfläche für Videoeinspielungen. Mal stürmte eine Herde Kühe über eine abschüssige Weide, mal waren die riesigen Bilder sich wiegender Teilnehmer eines Tanzwettbewerbs in Südamerika zu sehen. Die eingespielten Videos überlagerten teilweise auch die Handlung des Tanztheaters auf der Bühne, so dass phasenweise zwei Handlungen gleichzeitig stattfanden und sich inneinander verwoben, einen neuen visuellen Sinnesreiz ergaben. Zwar ist Moskau einerseits eine multikulturelle Stadt - hier leben neben Russen, Ukrainern, Weißrussen, Juden auch viele dunkelhäutige Menschen aus dem Kaukasus und Zentralasien -, aber Schwarze, Asiaten oder Perser sieht man im Straßenbild eigentlich nicht. So war der Auftritt der Wuppertaler auch deshalb ein besonderes Erlebnis, weil zur Truppe Tänzerinnen und Tänzer aus aller Welt und mit allen Hautfarben gehörten.
Bei Wuppertal denkt der naive Theatergänger zunächst einmal an das verschnarchte Städtchen im Bergischen Land. Dabei war eigentlich klar, dass Pina Bausch sehr gute Tänzer aus aller Welt anlocken kann - auch in die nordrhein-westfälische Provinz. Alle Tänzer konnten durch ihre eigene Persönlichkeit überzeugen. Da war die Afrikanerin, die durch ihre schelmischen Scherze und ihr unschuldiges Wimpernklimpern im Verlaufe des Abends zum Publikumsliebling wurde. Die selbstbewußte Asiatin, die kindliche Lateinamerikanerin, der rothaarige Vamp, der hochgewachsene Europäer, der schwarzhaarige Frauenschwarm aus Nordafrika. Irgendwie macht es mich als Zuschauer stolz, dass Deutschland mittlerweile so viele Facetten aufzuweisen hat. Damit hatten sicher auch viele Russen nicht gerechnet, die sich Deutschland immer noch als Land der ordentlichen, aber langweiligen Wurstesser und Biertrinker vorstellen.
Es ist schwierig etwas über den Inhalt der verschiedenen Tanzszenen zu sagen. Das gesamte Stück wirkte wie eine Patchwork-Arbeit aus vielen kleinen Teilen. Insgesamt kann man aber sagen, dass es immer wieder um das alles bewegende Motiv von Lieben, Verlassen und Verlassen werden geht. Besonders in Erinnerung bleiben sicher die Badeszene bei der die Tänzerinnen und Tänzer in Badeanzügen mit echtem Wasser auf der Bühne plantschten - Flirten am sommerlichen Badesee. Oder die Szene, in der sich die Darstellerinnen und Darsteller eine Bretterhütte bauen, wie man sie von Reportagen aus Südamerika kennt und darin eine wilde Salsa- und Merengue-Party feiern.
Eindrucksvoll auch die hektische Großstadtszene: Die Männer verlustigen sich auf der Straße mit Spielchen und die Frauen versuchen Sie schimpfend und zeternd nach Hause zu holen. Tanz und Spiel der Darstellerinnen und Darsteller begeisterten. Immer wieder lachten die Zuschauer auf oder klatschten berührt Beifall. Und am Schluss stand das komplette Publikum und bedankte sich bei den gut zwanzig Darstellerinnen und Darstellern und bei Dramaturgin Pina Bausch klatschend, jubelnd und pfeifend. |
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Nur noch eine Frage von Stunden bis das Eis geschmolzen ist und ich meine Füße wieder frei bewegen kann. (© T. Iwanowa/Christian Jahn)
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Den Frühling spart sich Russland einfach. Auf den kalten Winter folgt unmittelbar der knallig heiße Sommer. Gestern noch musstest du einen Wollpullover unter dem Jacket tragen und heute schwitzt du im T-Shirt. Auf einen April mit knapp 10 Grad Celsius folgt der Mai mit schließlich um die 35 Grad Celsius. Verloren hast du, wenn die Räume auf der Arbeit nicht klimatisiert sind - leider ist das in der Regel der Fall. Dann heißt es auf die Zähne beißen bis zum Abend. Hemden kann man waschen, was solls. Besser bist du am Wochenende dran. Am Besten bleibt man bis zum Abend in der gut gegen Sonnenstrahlen verbarrikadierten Wohnung. Durchzug in den Räumen macht das Leben auch einigermaßen lebenswert. Ab 19.00 Uhr kann man dann allmählich mutiger werden und einen Fuß durch die Balkontür ins Freie halten. Wenn der Unterschenkel sich nach fünf Minuten nicht in ein Stück Holzkohle verwandelt hat, kann auch der Rest des Körpers nachkommen. Unschlagbar bei diesem Wetter abends auf dem Balkon: Ein Drittel kalter Grapefruit-Saft und zwei Drittel Stary Melnik- Bier. Da können alle diese Coronas, Millers und Hast-Du-nicht-gesehen einpacken. Lecker! |
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„Den Pobedy", der Tag des Sieges über den Nationalsozialismus ist bis heute einer der wichtigsten Feiertage in Russland. Im ganzen Land finden Militärparaden und Volksfeste statt. In Moskau marschieren hunderte Soldaten aus dem ganzen Land über den Roten Platz. Am Ehrenmal auf der Erhebung „Poklonnaja Gora" im Westen Moskaus und im Gorkiy Park an Ufer des Moskwa-Flusses versammeln sich Jung und Alt und feiern gemeinsam den Sieg im von 1941 bis 1945 dauernden Krieg. Die jungen Russen schenken den Veteranen Blumen und gemeinsam wird getrunken, gesungen und getanzt. Rund zehn Millionen Tote hatte die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg zu beklagen. Mehr als alle anderen Siegermächte. Das ist sicherlich ein sehr wichtiger Grund, warum der „Große Vaterländische Krieg", wie der Zweite Weltkrieg in Russland in Anlehnung an den Krieg von 1812 heißt, so eine wichtige Rolle in der russischen Erinnerungkultur spielt. Auch dass die Generation der Veteranen allmählich abtritt, hat die Bedeutung des Tags bis heute nicht geschmälert. Von offizieller Seite besteht wahrscheinlich auch kein Interesse daran. Denn der Feiertag ist zugleich ein Identitätsstifter für die 140 Millionen Bürger:innen Russlands.
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Stolz präsentieren die Weltkriegsveteranen am 9. Mai ihre Orden behangenen Uniformen (© Christian Jahn) | Blumen reichlich gibt es von den jüngeren Russinnen und Russen für die „Befreier vom Faschismus" (© Christian Jahn) | |
Gemeinsam haben sie den „Großen Vaterländischen Krieg" überlebt (© Christian Jahn) | Wohl an keinem anderen Tag bekommen russische Rentner und Veteranen so viel Aufmerksamkeit, wie am 9. Mai (© Christian Jahn) | |
Auf dem „Poklonnaja Gora“ am Ehrenmal für die Gefallenen und die Sieger des Zweiten Weltkriegs versammeln sich am 9. Mai die Veteranen der Roten Armee (© Christian Jahn) | Die Erinnerung lebt weiter, aber der Schmerz scheint vergessen (© Christian Jahn) |
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Deutsche Journalisten sind voreingenommen gegenüber Russland, schlecht qualifiziert für die Berichterstattung über das Land und müssen der Nachfrage nach Skandalen auf dem deutschen Markt gerecht werden. So ähnlich lautete das Urteil einer Journalistin im russischen Fernsehen über die deutschen Kollegen. Die Frau ärgerte sich über die unterschiedliche Berichterstattung während und nach den „Märschen der Unzufriedenen“ zu den Märschen ruft ein kleiner, recht populärer Teil der russischen außerparlamentarischen Opposition auf und den Ausschreitungen Ende April in Estland. Westliche Medien hatten nach der Demonstration der Opposition in Moskau vom „brutalen Vorgehen“ der russischen Polizei gesprochen. Gezeigt wurden TV-Bilder des Ex-Schachweltmeisters und Oppositionspolitikers Garri Kasparow, wie er verhaftet aus einem Mannschaftswagen der Polizei den Journalisten zuruft: „Sagen Sie Ihren Bürgern und Politikern, dass das hier ein Polizeistaat ist.“ In bestem Englisch wohlgemerkt und damit zitierfähig und leicht verwendbar für die berichterstattenden westlichen Medien.
Im Fernsehen kursierten Fotos von verletzten Demonstranten und, ja, sogar ein Journalist des ZDF soll einen Gummiknüppel zu spüren bekommen haben. Bei der zweiten Demonstration, die die russische Journalistin als Beleg für voreingenommene Berichterstattung westlicher Medien anführte, protestierte die russische Minderheit in Estland gegen die Überführung eines Sowjetdenkmals aus dem Zentrum der Hauptstadt Tallinn auf einen Soldatenfriedhof am Rande der Stadt. Später randalierten zur russischen Minderheit gehörende Jugendliche in der Innenstadt, Geschäfte brannten und wurden geplündert, Autos wurden umgestürzt. Die estnische Polizei ging mit Schlagstöcken, Gummigeschossen und Tränengas gegen die Randalierer vor. Einmal verurteilten die westlichen Medien das „brutale“ Vorgehen der Polizei nämlich als die russische Polizei die Demos der Opposition in Moskau auflöste. Einmal äußerten die westlichen Medien Verständnis für das „entschlossene“ Vorgehen der estnischen Polizei gegen die zur russischen Minderheit gehörenden Randalierer.
Dabei waren weder die Kundgebung der Opposition in Moskau noch die Demonstration gegen den Denkmal-Abbau genehmigt ganz zu schweigen natürlich von der anschließenden Randale. Die Polizei handelte also in beiden Fällen im Einklang mit den Gesetzen. Und die Schlagstockopfer in Moskau mussten wohl mit dem harten Vorgehen der Polizei rechnen. Denn die Polizei hatte Tage vorher gewarnt. Wo liegt also der Unterschied, wenn die westlichen Medien das Vorgehen der russischen Polizei in Moskau verurteilen und das Vorgehen der estnischen Polizei in Tallinn begrüßen? In der Tendenz muss ich der russischen Kollegin leider Recht geben, so ungern ich das als westeuropäischer Russland-Korrespondent auch tue. Nicht wenige deutsche Journalisten hier in Moskau haben offenbar wenig Zeit für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit ihrer Umgebung. Sie werden von ihren Heimatredaktionen für wenige Jahre entsandt, nicht selten müssen sie wegen fehlender Russisch-Kenntnisse bei Interviews auf Übersetzer zurückgreifen und sie leben und arbeiten häufig abgekapselt von der Bevölkerung in bewachten Gebäudekomplexen, wo sie lediglich mit anderen Auslands-Korrespondent:innen Kontakt haben. Und so setzt sich in der Berichterstattung letztlich oft der „westliche Blick“ durch. Eine Reflexion und Korrektur der eigenen Ansichten erfolgt offenbar erst, wenn die Zeitung schon gedruckt ist, und oftmals ohne Folgen für spätere ähnliche Fälle.
Die Marktnachfrage ist tatsächlich ein weiteres Problem. Die Redaktionen deutscher Medien und die Öffentlichkeit in Deutschland lieben an Russland vor allem das, was es in der gut organisierten, vielleicht deshalb auch ein bisschen langweiligen Heimat, offenbar zu wenig gibt die Skandale. Mord, Totschlag, Korruption und Prostitution das sind die großen Russland-Themen in Deutschland, die ein Auslandskorrespondent in der Regel ohne Probleme an die Zentralredaktion verkaufen kann. Hat die russische Kollegin also Recht mit ihrem vernichtenden Urteil über die westliche Russland-Berichterstattung? Wie gesagt, es gibt Gründe, ihr teilweise zuzustimmen. Allerdings gibt es im Zusammenhang mit den beiden von ihr angeführten Demonstrationsbeispielen ein weiteres Moment, das es selbst einem wohlwollend gegenüber Russland eingestellten Korrespondenten unmöglich macht, ihrer Argumentation zu folgen:
Die Auseinandersetzungen in Tallinn waren lange absehbar. Schon Monate vor den Krawallen hatten Äußerungen russischer Politiker die Stimmung angeheizt. Vor mehreren Wochen bereits hatte Sergej Iwanow, einer der aussichtsreichsten Kandidaten auf die Putin-Nachfolge, vorgeschlagen, die russischen Bürger sollten gegen die Überführung des Sowjetdenkmals mit einem Boykott estnischer Waren reagieren. Eine vielleicht noch annehmbare, da gewaltfreie, Form des Bürgerprotests. Viel emotionaler schon die Aussage des Dumasprechers Sergej Mironow nach der ersten Randale-Nacht: „Schluss mit der Schändung des Andenkens der gefallen Sowjetsoldaten.“ Oder die Aussage des Politikers Andrej Kowaljow beim Abflug einer Duma-Abordnung nach Tallinn: „Wir werden dafür sorgen, dass das Denkmal wieder an den angestammten Platz kommt.“
Bei diesem fatal an Sowjetimperialismus erinnernden, chauvinistischen Auftreten offizieller Vertreter Russlands verliert dann eben auch ein grundsätzlich unvoreingenommener Russlandkorrespondent seine Sympathie für das Land. Und noch stärker wird zweifellos die Ablehnung gegenüber Russland nach solchen Aktionen wie in Estland beim deutschen Zeitungsleser ausfallen. Aber selbst hier, das ist meine Erkenntnis aus Diskussionen über die Vorfälle, muss ein Auslandskorrespondent seine Emotionen unterdrücken und sehr, sehr genau hinsehen: Wer macht welche Aussage? Ist der Politiker, der von „Frevel“ und „Schande der estnischen Regierung“ spricht, ein Politiker der ersten Garde oder eher ein Hinterbänkler? Wie viel Aufmerksamkeit bekommt er eigentlich? Wie akzeptiert ist er in der Bevölkerung? Das verlangt natürlich gute Kenntnisse der Politik, der Institutionen, der russischen Gesellschaft. Außerdem muss man wissen, dass die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in Russland eine exponierte Stellung einnimmt und in der Sowjetunion zum Heiligtum verklärt wurde. Und offenbar hat der breite Durchschnitt der Russen noch nicht begriffen, dass Russland nicht mehr die führende Macht in Osteuropa ist, sondern nur noch gleiche unter gleichgestellten das ist wiederum eine Lernaufgabe für die Russ:innen für die nächste Zukunft. |
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Im Vergleich mit den USA, Deutschland oder anderen westeuropäischen Ländern steckt das Showbusiness in Russland noch in den Kinderschuhen so meinen Experten: Die Gagen sind geringer als im Westen und auch die Zahl der Stars ist übersichtlich. Meiner Einschätzung als Amateur-Musiker und interessierter Beobachter nach geht es aber mit riesen Schritten voran. Die Pop- und Rockproduktionen werden professioneller und die Film- und Video-Industrie boomt. Bei den MTV Movie Awards 2007 liefen vor allem die Stars und Sternchen der Teenager über den Roten Teppich vor dem Kino „Puschkinskiy“ im Zentrum Moskaus.
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Die Girlgroup Tutsi auf dem Weg zu den MTV Movie Awards 2007 (© Christian Jahn) | Die Pop-Sängerin Jasmin pflegt das Image des zerbrechlichen Blümchens (© Christian Jahn) | |
Reiht sich ein neben Paris Hilton und Veronika Feldbusch Marketing-Ikone Ksenija Sobtschak (© Christian Jahn) | Russkiy Eminem Rapper Ligalais (Legalize) (© Christian Jahn) | |
Ich will ein Kind von euch! Beim Anblick der Boyband Korni fallen weibliche russische Teenies reihenweise in Ohnmacht (© Christian Jahn) | Rada und Natascha sind die schönen Gesichter der Rap-Truppe Band'Eros (© Christian Jahn) |
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Politische Opposition ist in Russland ein zartes Pflänzchen. Am Wochenende lösten Spezialeinheiten der Polizei Demonstrationen der Opposition in Moskau und St. Petersburg auf. Mit Schlagstöcken prügelten die mit Helmen, Arm- und Beinschienen gut geschützten Polizisten die wehrlosen Demonstranten auseinander und zum Teil ins Krankenhaus. Von der Prügelaktion waren auch Journalisten betroffen. Ein ARD-Mitarbeiter wurde verletzt. Mehrere Journalisten wurden vorübergehend auf Moskauer Polizeiwachen festgehalten. Tatsächlich waren die Demonstrationen verboten. Und zumindest die Moskauer Polizei hatte bereits Tage vor dem angekündigten Marsch der Unzufriedenen bekannt gegeben, hart gegen eine illegale Demonstration der Opposition vorzugehen. So waren im Grund alle im Bilde, auf was sie sich einlassen.
Sind also die Journalisten selbst schuld? Wenn sie sich mit ihren Kameras und Aufnahmegeräten unter die Demonstraten begeben, müssen sie nicht davon ausgehen, dass sie einen Schlag abbekommen? Man könnte meinen, dass das zum Berufsrisiko gehört. De facto ist das wahrscheinlich oft so zumal heute in Russland. Allerdings genießen Journalisten gewöhnlich einen besonderen Schutz. Sie müssen über die politischen und sozialen Geschehnisse in einem Land berichten und bei der Arbeit ist ihnen Sicherheit zu gewähren. Deshalb ist das Vorgehen der Moskauer Polizisten zu verurteilen. Und verschiedene Duma-Abgeordnete haben auch bereits angekündigt, dass Disziplinarverfahren gegen die Prügler angestrengt werden. Schlimmer als Platzwunden und blaue Flecke, die Journalisten und Demonstranten davongetragen haben, dürfte der erneute Imageschaden für Russland sein. Im Westen glauben viele, dass das „Putin-Regime“, kurz davor steht, sich in einen autoritären Militärstaat zu verwandeln.
Oppositionspolitiker, wie der Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow, tragen ihren Teil dazu bei, dass sich diese Meinung im Westen verfestigt. Kasparow nahm an der verbotenen Demonstration in Moskau teil. Als er dann, wie abzusehen war, verhaftet wurde, sprach er noch aus dem Einsatzwagen der Polizei öffentlichkeitswirksam in die Kameras und Mikrofone der anwesenden Journalisten. In bestem Englisch, denn aufregen sollen sich ja vor allem die westlichen TV-Zuschauer. In Russland ist Wahlkampf! Ich habe nicht den Eindruck, dass in Russland alles auf der Kippe steht. Sicher ist das politische System nicht mit Demokratien im Westen zu vergleichen: Neben der Regierungspartei „Einiges Russland“ gibt es kaum Alternativen. Und die Brutalität bei der Auflösung von Demonstrationen ist heftig zu kritisieren, auch wenn die Proteste nicht angemeldet und damit illegal waren.
Allerdings ist das postsozialistische Parteiensystem in Russland erst rund fünfzehn Jahre alt und auch die gesellschaftlichen Institutionen stehen noch auf wackeligen Beinen. Deshalb ist die Regierung Putin wahrscheinlich das geringste Übel in Russland. Erstmals sind nachhaltige Anzeichen feststellbar, dass sich die Wirtschaft und das Land erholen, dass das öffentliche Leben wieder in geordneteren Bahnen abläuft. Was passiert, wenn die Staatsorgane nicht mehr funktionieren, das hat die russische Bevölkerung in den Neunzigerjahren bereits erleiden müssen. Damals galt das Recht des Stärkeren. Die Schwachen endeten nicht selten mit Loch im Kopf auf dem Friedhof, die Starken wurden mit dem Diebesgut superreich, stoßen heute in Monaco mit Champagner und Silikonschönheiten auf die neu erworbene Luxusyacht an und liefern den dankbaren russischen und internationalen Boulevardmedien reichlich auflagensteigernde Aufreger.
Fazit: Auch wenn in Russland kein Umschwung zu einer Militärdiktatur droht, Opposition ist wichtig es muss ein parlamentarisches und ein außerparlamentarisches Korrektiv geben, dass die Regierung immer wieder daran erinnert, dass sie ihre Vollmachten vom Volk geliehen hat. Die Medien müssen ebenfalls die Regierung kritisieren, wo sie gegen die gesetzlich verbrieften Ansprüche der Bevölkerung handelt. Bei der Beurteilung der Regierung sollte aber genau hingeschaut werden. Verbotene Demonstrationen würden auch in Deutschland aufgelöst. Wahrscheinlich würden deutsche Polizisten heute nicht mehr so brutal vorgehen. Das liegt sicher auch daran, dass die Kultur der politischen Auseinandersetzung in Deutschland mittlerweile eingespielt ist. In den Achtzigerjahren war das sicher noch anders siehe zum Beispiel die Demonstrationen gegen die Startbahn West in Frankfurt. Die russische Oppositionspolitikerin Irina Chakamada hat nach den Ausschreitungn am Wochenende an ihre Mitstreiter appelliert, Demonstrationen nur durchzuführen, wenn sie vorher genehmigt wurden. Das wäre wohl der anzustrebende Zustand für die Zukunft. Wahrscheinlich wird es aber zunächst weiterhin zu Aufregern für den Westen kommen, bis sich eine Kultur der politischen Auseinandersetzung etabliert hat. Derzeit wird in Russland das Demonstrationsrecht neu formuliert. Um dabei nicht den Kürzeren zu ziehen, muss die Opposition vorübergehend wohl zivilien Ungehorsam üben und auch „illegal“ demonstrieren. |
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Ein russisches Osternest mit Huhn und Eiern (© Christian Jahn)
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Kirchenfeste waren in der Sowjetunion offiziell verboten. Noch fünfzehn Jahre nach dem Ende der UdSSR ist Religion neu für viele Bürger:innen Russlands. So auch für Julija, die 30-jährige Zahnarzthelferin. Sie geht seit drei Jahren regelmäßig in die Kirche und nimmt auch ihre kleine Tochter mit dorthin. Julija sagt, dass sie sich erst nach und nach mit dem Brauchtum vertraut machen muss. Am Ostersamstag war sie in der Kirche und hat einen Kulitsch, typisches russisches Ostergebäck aus Hefeteig, segnen lassen. Mit ihrer Tochter hat Julija Eier bemalt. In der Nacht auf Sonntag dann war sie für einige Stunden bei der Ostermesse. Julija hat die Religion für sich entdeckt. Ausschlaggebend war für sie der Tod der geliebten Großmutter. Das Beten „nach meinen eigenen Regeln“, sagt Julija, habe ihr Kraft, Ruhe und Mut gegeben. |
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Einladung vom „Deutschen Kreis“, einer Gruppe von Student:innen am „Moskauer Staatlichen Institut für internationale Beziehungen“ MGIMO, die sich für Deutschland interessieren. Bei dem Round-Table-Gespräch geht es um die Wahrnehmung Russlands in Deutschland und in den deutschen Medien. Ich bin als deutscher Medienexperte eingeladen. Insgesamt versammeln sich 15 interessierte Student:innen in einem Raum des MGIMO-Gebäudes am Prospekt Wernadskogo im Südwesten Moskaus. Auf der Tagesordnung stehen zwei Referate eines über die Rezeption Russlands in den deutschen Medien und eines über die russische Außenpolitik und eine anschließende Diskussion.
Bei der Diskussion kristallisieren sich schnell einige grundlegende Probleme heraus, die die realistische Darstellung Russlands in den deutschen Medien verhindern: 1. Die deutsche Bevölkerung einschließlich des durchschnittlichen Tageszeitungsredakteurs weiß so gut wie nichts über Russland. Die Kenntnisse beschränken sich auf Stereotypen aus der Zeit des Kalten-Informationskriegs und auf Wissen aus Skandal-Berichterstattung über Gangster oder Prostituierte. 2. Neureiche Russen, die in Courchevel und an anderen Urlauborten mit Haufen von Dollars um sich schmeißen und wilde Partys feiern, sorgen auch heute dafür, dass die zuerst genannten Vorurteile weiterleben und beschädigen das Image Russlands zusätzlich.
Wenn die deutsche Öffentlichkeit wenig weiß über Russland, ist die Lösung der Probleme dann aber eine Verstärkung der staatlichen russischen PR-Anstrengungen? Gepaart womöglich mit einer stärkeren Kontrolle des Staats über die russischen Medien? Bleibt da die Meinungsfreiheit nicht auf der Strecke? Die Ansichten gehen auseinander: Eine Teilnehmerin glaubt, dass Journalisten auch Patrioten sind und die Politik der Regierung unterstützen müssen. Sie meint, dass Journalisten nicht nur kritisch über ihr Land schreiben müssen, sondern auch einmal Erfolge loben.
Ein anderer Student findet, dass die russische Medienlandschaft weitgehend frei sei. Es gebe Print- und Online-Medien jeder politischen Couleur und jede Meinung könne heute veröffentlicht werden. So sei der Radiosender „Echo Moskaus“ , der zur halbstaatlichen Gazprom Media-Gruppe gehört, unabhängig und könne senden, was die Redaktion für richtig halte. Beim Fernsehen ist der Student allerdings anderer Meinung alle Fernsehsender sendeten Regierungsfernsehen. Die Diskussionsteilnehmer sind sich einig, dass alle PR nichts hilft, wenn das „Produkt“ nicht gut ist. Russische Geschäftsleute beispielsweise müssten also zurückhaltender auftreten und nicht für alle sichtbar mit ihren Prostituierten tagelange Partys in Courchevel feiern. Deutsche Geschäftsleute schaffen es ja auch, sich zu amüsieren, ohne, dass gleich ein Fernsehteam dabei ist. Die Veranstaltung war sehr spannend und hat Spaß gemacht. Die Student:innen waren sehr angenehme Diskutant:innen. Das sollte unbedingt eine Fortsetzung finden. |
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Für den Samstag hatte sich die moldawische Band Zdob si Zdub im Club „B2“ am Moskauer Gartenring angesagt. Die Band dürfte im Westen bis heute weitgehend unbemerkt geblieben sein. Nur beim Eurovisions-Wettbewerb 2005 konnten sie auch westeuropäische Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sie machten damals einen überraschend guten sechsten Platz. Schade eigentlich, dass die Band international eher ein Schattendasein fristet. Vor allem schade für das westeuropäische Publikum. Denn die Musiker beherrschen ihre Instrumente virtuos, die Songs sind stimmig arrangiert und reißen mit. Kurz: Zdob si Zdub ist ein echter Kracher!
Neben Standardinstrumenten Schlagzeug, Bass und Gitarre gibt es bei Zdob si Zdub Posaune, Trompete und je nach Song und Bedarf jede Menge Flöten und Tamburins. Die Band spielt eine Mischung aus modernem Rock mit Hiphop-Anleihen und moldawischer Folklore. Gewagt. Aber: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und Zdob si Zdub, wie gesagt, sind absolute Gewinner. Ich selbst habe die Band am Samstag zum ersten Mal live gesehen. Den größten Eindruck hat auf mich der Trompeter gemacht. Über den rockigen Klangteppich, den Gitarre, Bass und Schlagzeug ausrollten, wirbelte er in Schwindel erregender Geschwindigkeit Melodien. Am Rand der Bühne stehend, einen Fuß auf einen Monitor gestützt ganz so, wie es sonst die Gitarristen machen, wenn sie dem Publikum einheizen trieb er die Fans an.
Für die famose Show bedankte sich das Publikum bei den sechs Musikern mit ausgelassenen Tänzen und anhaltendem Jubel nach jedem Stück. Dass im Konzertsaal bald eine Atmosphäre herrschte, wie auf einem Fest in den Karparten, dazu trugen auch die älteren Herrschaften auf den VIP-Bänken links der Bühne bei. In grauem Sacko und aufgeknöpftem Hemd, aus dem die Brusthaare hervorquollen, entsprachen sie weitgehend dem Klischee vom lustigen, Folklore liebenden Bauern. Breit grinsend trommelten sie auf dem Tisch vor sich den Takt mit. Da sich selten Menschen im Alter zwischen 60 und 70 Jahren freiwillig dem Lärm und der Hektik eines Rockkonzerts aussetzen dürften, könnte es sich möglicherweise um die Eltern einiger Musiker gehandelt haben. Zdob si Zdub mit der ganzen Familie auf Tour durch Osteuropa diese Vorstellung macht die Band noch sympathischer. |
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Seit Kurzem bin ich erst Mitglied beim Kontaktnetzwerk Xing (ehemals Open BC) und ich bin hellauf begeistert: Tatsächlich melden sich sehr schnell Menschen, die an Zusammenarbeit oder Gedankenaustausch interessiert sind. Ein Hoch auf das Web 2.0. Jetzt heißt es schnell Premium-Mitglied werden, um auch vollwertig mit den neuen Bekannten kommunizieren zu können. |
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Heute habe ich Zwischenzeugnis und Zertifikat für den Grundlagenteil meines Fernstudiums „Betriebswirtschaft und betriebliches Management“ erhalten. Vorsicht jetzt kommt Eigenlob: Beide Wahlfächer, sowohl Marketing als auch Unternehmensführung, mit überdurchschnittlichem Erfolg abgeschlossen. Mit dem Zwischenzeugnis ist ein Jahr Doppelbelastung überstanden! Aber tatsächlich macht mir die Fortbildung sehr viel Spaß. Klar gibt es auch mal eine Durststrecke, aber ich beschäftige mich sehr gern mit den Wirtschaftsthemen. Zeugnis und Zertifikat sind noch einmal Motivation für den Endspurt noch ein halbes Jahr und ich habe meinen Betriebswirt IWW in der Tasche! |
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James Kottak (Schlagzeug), ich (Kugelschreiber), Matthias Jabs (Sologitarre) (© NN/Christian Jahn)
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Die Helden meiner Jugend sind in Moskau - die Scorpions. Meine Einstiegsdroge in die Hardrock-Welt. Damals, gerade einmal zwölf Jahre alt, hörte ich die LPs „Blackout“ und „Love at first sting“ von morgens bis abends. Am 07. März 2007 geben die Scorpions also ein Konzert im Kongress-Palast auf dem Gelände des Kremls. Als Journalist habe ich einfach eine Woche vorher das Management angerufen und so kann ich am 06. März, dem Vorabend des Konzerts, am Pressegespräch teilnehmen und die Helden meiner Jugend kennenlernen. Für den 07. März habe ich dann ein Ticket für die erste Reihe, direkt vor der Bühne. Obwohl ich mit den Scorpions musikalisch groß geworden bin, sehe ich sie an diesem Abend zum ersten Mal live. Beim Pressegespräch haben sie nicht zu viel versprochen: Es ist eine echte Rock-Show! Einfach klasse und professionell umgesetzt. Und die Songs sind natürlich auch 20 Jahre nach der Erstveröffentlichung sensationell - echte Rock-Klassiker. Absolutes Highlight ist aber die Stimme von Klaus Meine. Der Mann ist über fünfzig Jahre alt und schwingt sich immer noch in glasklare Höhen auf. |
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Heute geht, welch großer Tag, der Moskau-Blog online. |
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